Janina Wille ist seit 40 Jahren im Einsatz in der Küche des Pflegeheims in der Jamboler Straße in Halle. Nun geht sie in den Ruhestand.
Als am 15. Mai 1981 in der damaligen DDR ein sogenanntes „Feierabendheim“ in der Jamboler Straße in Halle-Silberhöhe seine Pforten öffnete, war Janina Wille gerade mal 23 Jahre jung und sie war vom ersten Tag an dabei. Eine wertvolle Hilfe und die gute Seele des Hauses seit 1981!
Janina Wille, gebürtige Polin, heiratete damals nach Halle (Saale) und fand im heutigen ASB-Pflegeheim Arbeit in der Küche. Nun, 40 Jahre später, ist sie die gute Seele des Hauses, ihr herzliches Lachen ist durch die Flure zu hören und es ist ansteckend, ihre exquisiten Koch - aber vor allem Backkünste sind bei den Bewohnern und Mitarbeitenden beliebt.
„An meinem ersten Arbeitstag konnte ich kein Wort Deutsch“, erinnert sie sich. „Ich saß im Kollektiv am Frühstückstisch und fand die Sprache einfach nur wunderschön. Damals wünschte ich mir, einmal auch so sprechen zu können, alles zu verstehen und mitzureden.“ Innerhalb kürzester Zeit hat sie die Sprache gelernt und sich an ihren Arbeitsalltag in der Großküche eines Pflegeheims gewöhnt. Ein normaler Arbeitstag beginnt für sie mit „Schnitten schmieren". Das sind dann schon mal 150-160 belegte Brote, ob nun mit oder ohne Brotrinde, in kleine mundgerechte Stücke geschnitten oder "extra dick belegt". Alles ganz nach den Wünschen der Heimbewohner. Danach geht es an die Vorbereitungen für das Mittagessen. Hier werden tagtäglich mindestens 100 Portionen zubereitet und ausgegeben.
Leidenschaftlich gern jedoch bäckt Janina Wille für die Menschen im Pflegeheim. Ihre Backkünste sind legendär, die Heimbewohner werden ihre Kuchen und Torten und Plätzchen vermissen, denn sie geht in Pension. Heute hat sie sechs große Kuchenbleche mit russischem Zupfkuchen im Ofen. An anderen Tagen sind das dann auch schon mal bis zu zehn Biskuitrollen oder gar zwölf feinste Rührkuchen im Guglhupf. „Es soll ja schließlich für alle Bewohner reichen“, sagt sie lachend.
Sie erzählt, dass die Menschen früher, im Feierabendheim, mobiler und agiler waren und der letzte Lebensabschnitt im Seniorenheim im Vergleich zur Gegenwart von längerer Dauer war. Heute ist das anders. Pflege ist teuer und will bezahlt werden. Die Renten jedoch sind knapp. Trotzdem hat sie in den vier Jahrzehnten zu manchem der Heimbewohner ein inniges Verhältnis aufbauen können. Eine ältere Dame hat sie ganz besonders in ihr Herz geschlossen und bis zu ihrem letzten Lebenstag begleitet. Diese Dame, eine frühere Chemikerin in den BUNA-Werken, war viel zu oft allein, keiner der fünf Söhne hatte wirklich Zeit, die Mutter im betreuten Wohnen zu besuchen. „Das Zimmer von Frau Blume (Name geändert) befand sich in der Nähe meines Arbeitsbereiches, der Küche, so konnte ich hin und wieder mal nach ihr schauen“, erzählt Frau Wille. Aus diesen ersten kurzen Begegnungen entwickelte sich schon bald eine tiefe Bindung zwischen den beiden. Für Janina Wille war es ein geliebtes Feierabendritual, wenn sie am Abend gegen halb Acht das Zimmer der Heimbewohnerin betrat. Dann erzählte Frau Blume aus ihrem Leben, zum Beispiel von ihrer Kindheit in den Wirren des zweiten Weltkrieges. Sie gab Frau Wille ganze Rezepte wider, selbstgebautes Spielzeug, das sie als kleines Mädchen begleitet hat, konnte sie detailgetreu beschreiben. „Für mich waren die Besuche nach Schichtende immer etwas ganz besonderes. Nicht nur Frau Blume hat sich darüber so sehr gefreut, auch ich saß gern in ihrem Zimmer, oft länger als eine halbe Stunde“, erzählt die sympathische Köchin.
Für die ältere Dame waren die Besuche von Janina Wille stets eine Reise in die Vergangenheit. Heute weiß man, dass die Erinnerung an Vergangenes, besonders für ältere Menschen mit einer Demenzerkrankung, sehr wichtig ist. Sich an Orte, Personen und Ereignisse zu erinnern, stärkt nicht nur das Gedächtnis, sondern ermöglicht eine bewusste Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie. Janina Wille war also nicht nur eine ganz normale Zuhörerin, sondern unbewusst auch Therapeutin.
Nun steht Janina Willes letzter Arbeitstag an. Auf die Frage, ob es im Ruhestand ruhiger wird sagt sie lachend: „Von wegen Ruhestand! Wenn ich endlich mehr Freizeit habe, stehe ich auch in der Küche und backe oder koche, dann für die Verwandtschaft. Ganz oft auch polnische Gerichte, meine Enkel lieben diese Art des Essens! Und wissen Sie was? Ich wasche sogar gern ab“, sagt Frau Wille und muss wieder los in die Küche. Die leckeren Blechkuchen, die es heute zum Vesper gibt, sollen auf gar keinen Fall anbrennen!
Ihrer Nachfolgerin oder ihrem Nachfolger möchte sie noch eines mit auf den Weg geben: „Sich nicht alles zu Herzen nehmen, auch wenn es in einer so großen Küche mal laut wird, weil es schnell gehen muss. Mit etwas mehr Gelassenheit geht man viel Ärger aus dem Weg!“, sagt sie und öffnet den Backofen, es durftet köstlich, die Kuchen sind fertig.